Leserbrief zu „Das Abitur erledigt sich von selbst.“
Sehr geehrter Herr Türcke,
aufmerksam habe ich Ihren Gastbeitrag „Das Abitur erledigt sich von selbst.“ in der Süddeutschen Zeitung vom 10. Februar 2016 gelesen. Als Lehrerin und Lerncoach befasse ich mich seit Jahren sehr intensiv mit dem Thema Lernen sowie dem damit verbundenen Kompetenzerwerb. Vor dem Hintergrund ärgert es mich, dass Sie die Kompetenzorientierung und die bildungsreformerischen Bestrebungen unserer Schulen so global kritisieren.
Worum geht es in der Schule? Aus meiner Sicht geht es darum, das in der Schule erworbene Fachwissen in der Lebenswelt adäquat abrufen und anwenden zu können. Dazu bedarf es mehrerer Kompetenzen, der von Ihnen erwähnten Soft Skills: Lernen erfordert Neugier, Mut, Selbstvertrauen, Frustrationstoleranz und Handlungsfähigkeit. Nachfolgend lege ich meinen Standpunkt dazu ausführlich dar:
In einer Klasse sitzen ca. 27 unterschiedliche Schüler mit verschiedenster Lernbiografie: das Akademikerkind mit Englischunterricht seit dem Kindergarten neben dem Kind mit Migrationshintergrund, in dessen Familie ausschließlich in der Herkunftssprache gesprochen wird. Im Rahmen der Inklusion sind in einer Schulklasse (glücklicherweise) zusätzlich geistig oder körperlich eingeschränkte sowie verhaltensauffällige Kinder.
Ich frage Sie: Wollen wir diese 27 unterschiedlichen Kinder, jedes für sich einzigartig, jetzt (wieder) nach dem Gießkannenprinzip beschulen? Sicherlich nicht. Deshalb ist es ein Segen, wenn individualisierter, kompetenzorientierter Unterricht in Form von Lernsituationen stattfindet. Dazu gehört zum Beispiel auch, [...]